Höhe des Urlaubsentgelts: Oft mehr als nur das Grundgehalt
Erste spannende Frage ist, wie viel Gehalt wird für den Urlaub herangezogen? Wie viel Geld bekomme ich im Urlaub?
Wird einem Arbeitnehmer Urlaub gewährt, ist ihm für diese Zeit ein Urlaubsentgelt zu bezahlen. Die genaue Höhe des Urlaubsentgelts bestimmt sich nach § 11 Abs. 1 Bundesurlaubsgesetz (BurlG). Hiernach bemisst sich das Entgelt nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, den der Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen vor Beginn des Urlaubs erhalten hat.
Ausgenommen sind das zusätzlich für Überstunden gezahlte Entgelt sowie nur vorübergehende Erhöhungen des Verdienstes. Gemäß § 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG bleiben zudem Verkürzungen des Entgelts außer Betracht, die im Berechnungszeitraum aufgrund von Kurzarbeit, Arbeitsausfällen und unverschuldeter Arbeitsversäumnis eintreten. Letzteres meint insbesondere eine vereinbarte, unentgeltliche Freistellung.
Hingegen zählt zum durchschnittlichen Arbeitsverdienst im Sinne des § 11 BurlG mehr als nur das vereinbarte Grundgehalt. So sind insbesondere gezahlte Feiertags- und Nachtzuschläge , Vergütungen für Bereitschaftsdienste und Gefahrenzulagen mit einzubeziehen.
Doch wie sieht es aus mit variablen Vergütungen und Provisionen aus? Wie mit einem 13. Monatsgehalt und andere Zuwendungen, die nur gelegentlich gezahlt werden ?
Williams und Lock: EuGH-Rechtsprechung krempelt Urlaubsentgelthöhe um
In der Lock-Entscheidung (EuGH vom 22.05.2014 – C-539/12) musste der EuGH über das Urlaubsentgelt eines Verkaufsberaters entscheiden. Dessen Arbeitsentgelt setzte sich aus zwei Komponenten zusammen: einem festen Grundgehalt und einer variablen Provision, deren Höhe sich nach den tatsächlich erzielten Verkäufen richtete. Letztere machte im Durchschnitt 60 Prozent des Gehalts des Arbeitnehmers aus. Sobald sich der Verkaufsberater also im Urlaub befand und keine Verkäufe mehr tätigte, konnte er keine Provision mehr verdienen. Entsprechend fiel sein Gehalt für die Urlaubszeiträume um rund 60 Prozent geringer aus.
Dies ist laut EuGH nicht mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie zu vereinbaren. Würde ein Arbeitnehmer für seine Urlaubszeit nur noch das Grundgehalt ohne Provisionen bekommen, bestünde die Gefahr, dass der Mitarbeiter den Urlaub tatsächlich nicht mehr nimmt, um den Entgeltausfall zu vermeiden. Genau dies will die Richtlinie aber verhindern: Jeder Arbeitnehmer soll seinen gesetzlichen Urlaubsanspruch bedenkenlos nehmen können, ohne einen Entgeltausfall befürchten zu müssen. Aus diesem Grund sind Provisionen, die der Arbeitgeber als einzige Gegenleistung oder neben einem Fixbetrag schuldet, in die Entgeltberechnung mit einzubeziehen. Sie sind damit Arbeitsverdienst im Sinne des § 11 Abs. 1 BUrlG. Dies gilt unabhängig davon, ob bereits das Urlaubsentgelt geringer ausfallen würde oder erst der Verdienst einige Monate später. Letzteres ist regelmäßig der Fall, wenn die Provision erst nachträglich berechnet und gezahlt wird.
Dabei geht der EuGH sogar noch weiter: Bereits in der Williams-Entscheidung (EuGH vom 15.09.2011 – C-155/10) stellte das Gericht fest, dass in die Berechnung des Urlaubsentgelts alle Leistungen an den Arbeitnehmer einzustellen sind, die dieser zumindest auch als Gegenleistung für seine vertragliche Arbeitsleistung erhält. Diese Auffassung bestätigte der EuGH explizit in der Lock-Entscheidung von 2014.
Damit erhöhen leistungsabhängige Provisionszahlungen an den Arbeitnehmer das Urlaubsentgelt. Auch regelmäßige Zuwendungen, die zwar nur ein- oder zweimal jährlich gezahlt werden, aber eine Gegenleistung für geleistete Arbeit darstellen, sind bei der Berechnung des Urlaubsentgelts zu beachten. Das muss insbesondere für das 13. Monatsgehalt gelten, das der Arbeitnehmer anteilig jeden Monat verdient.
Bei Missachtung der Rechtsprechung drohen hohe Urlaubsabgeltungsansprüche
Die Rechtsprechung des EuGH bewirkt allerdings nicht nur einen Anspruch des provisionsbezahlten Arbeitnehmers auf ein höheres Urlaubsentgelt, sondern wirkt sich auch auf die Art und Weise aus, wie der Urlaub zu gewähren ist.
Gemäß § 1 BUrlG und Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie besteht für den Arbeitnehmer ein Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub.Freizeit und Entgelt sind damit nach der Rechtsprechung des EuGH zwei Seiten einer Medaille (EuGH vom 20.01.2009 – C-350/06 – Schultz-Hoff). Der Arbeitgeber schuldet die Freistellung von der Arbeit und die Zahlung des Urlaubsentgelts. Nur wenn er beides für den Urlaubszeitraum gewährt, wird der Urlaubsanspruch aus § 7 Abs. 1 BUrlG erfüllt. Bei einer unbezahlten Freistellung tritt keine Erfüllung ein.
Ein Beispiel: Wird ein Arbeitnehmer ausschließlich mittels Provisionen auf den durch ihn erwirtschafteten Umsatz bezahlt, beläuft sich das Urlaubsentgelt auf die durchschnittliche Höhe der Provisionen in den letzten dreizehn Wochen. Dies ist nach der obigen Lock-Entscheidung des EuGH zwingend, selbst wenn der Arbeitnehmer in seiner Urlaubszeit faktisch keinen Umsatz und damit keine Provisionszahlungen mehr erwirtschaftet.
Deutlicher wird es, wenn man sich vorstellt, dass der Arbeitnehmer aus unserem Beispiel, der 100 % nur Provisionen erhält, über einen langen Zeitraum hinweg durchgehend arbeitsunfähig erkrankt ist und danach zum Beispiel Urlaub nehmen würde. Früher oder später würde er überhaupt kein Gehalt mehr bekommen, da er über längeren Zeitraum ja keine Provision erwirtschaftet hat. Rein faktisch hätte der Arbeitgeber ihn also weder Lohnfortzahlung für die Krankheitszeit, noch bezahlten Urlaub gewährt.
In der Praxis fällt dies allein deswegen meistens nicht auf, da Arbeitnehmer, die zu einem hohen Anteil Provisionen beziehen, in der Regel nicht allzu lange Urlaub nehmen, gerade weil sonst ihr Gehalt zu sehr sinken würde.
Wenn man es sich genau betrachtet wird dem Arbeitnehmer dann aber tatsächlich gar kein Urlaub gewährt - er wird letztendlich unbezahlt freigestellt.
Wird der Mitarbeiter in Unkenntnis der EuGH-Rechtsprechung tatsächlich nur unbezahlt freigestellt, ist der Urlaubsanspruch aber eben nicht erfüllt.
Ohne eine entsprechende Aufforderung des Arbeitgebers, den Urlaub zu nehmen , verfällt dieser nach aktueller Rechtsprechung zudem nicht zum Jahresende.
Somit ist durchaus denkbar, dass sich ein enorm hoher Anspruch auf Urlaub über die Jahre hinweg angehäuft hat.
Scheidet der Arbeitnehmer später aus dem Arbeitsverhältnis aus, hat er einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG, also auf Auszahlung des bis jetzt nicht genommenen Urlaubs, da ihm bisher ja kein wirklicher bezahlter Urlaub gewährt wurde. Der Abgeltungsanspruch bezieht sich dabei nicht nur auf den Jahresurlaub des aktuellen Kalenderjahres, sondern auch auf denjenigen der vergangenen Jahre. Der Abgeltungsanspruch kann deshalb je nach Dauer der Beschäftigung sehr hoch ausfallen.
Gerade die Frage des Urlaubsentgeltes / der Urlaubsabgeltung bei provisionsabhängiger Vergütung ist juristisch und auch wirtschaftlich eine hoch komplexe Materie. Hier sollte man den Gang zum spezialisierten Fachanwalt für Arbeitsrecht nicht scheuen, um zumindest in einem Beratungsgespräch die rechtliche und wirtschaftliche Situation zu beleuchten.
Fazit: Urlaubsansprüche immer im Blick behalten
Besonders für Arbeitnehmer mit einer rein provisionsbasierten Vergütung sind die Auswirkungen der Williams- und Lock-Entscheidung des EuGH enorm. Viele Arbeitgeber stellen ihre Mitarbeiter in diesen Fällen nur unentgeltlich von der Arbeit frei, wenn sie Urlaub gewähren wollen.
Arbeitnehmer sollten daher bei bestehenden Arbeitsverhältnissen auf die Zahlung eines Urlaubsentgelts bestehen und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Urlaubsabgeltung geltend machen. Arbeitgeber müssen hingegen darauf achten, dass sie den Urlaub entsprechend der obigen Vorgaben gewähren, um nicht hohe Abgeltungsansprüche zu riskieren.
Bei Fragen rund um das Thema Urlaub und Abgeltung stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.