Grundvoraussetzung: Besonderer Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen
Ein besonderer Kündigungsschutz gemäß § 168 Neuntes Sozialgesetzbuch (SGB IX) steht einem Arbeitnehmer zu, wenn es sich um einen schwerbehinderten Menschen im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IXhandelt. Danach sind Menschen schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 Prozent vorliegt. Besonderen Kündigungsschutz genießen ferner auch Arbeitnehmer, die nach § 2 Abs. 3 SGB IX schwerbehinderten Menschen von der Agentur für Arbeit gleichgestellt wurden. Die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch ist gemäß § 173 Abs. 3 Alt. 1 SGB IX nachzuweisen. Ein solcher Nachweis liegt vor, wenn das Versorgungsamt oder die nach Landesrecht zuständige Behörde einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festgestellt hat oder ein Gleichstellungsbescheid der Agentur für Arbeit vorliegt.
Ausprägung des besonderen Kündigungsschutzes: Zustimmung des Integrationsamts nötig
Zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber bedarf es gemäß § 168 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Erst wenn das Integrationsamt der Kündigung zugestimmt hat, kann der Arbeitgeber die Kündigung wirksam erklären. Kündigt der Arbeitgeber dagegen vorher, so ist die Kündigung unwirksam. Eine nachträgliche Genehmigung durch das Integrationsamt ist nicht möglich. Weitere Informationen finden Sie in unserem gesonderten Beitrag zum Kündigungsschutz schwerbehinderter Arbeitnehmer.
Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamts kann teuer werden
In dem Fall, der dem Urteil des BAG zugrunde lag, stritten die Parteien über die Frage, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen einer Benachteiligung aufgrund dessen Schwerbehinderung zu zahlen. Der Arbeitnehmer war bei dem Arbeitgeber als Hausmeister beschäftigt. Der Arbeitgeber kündigte dem schwerbehinderten Arbeitnehmer ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamts, obwohl diese Zustimmung gemäß § 168 SGB IX für die Kündigung schwerbehinderter Menschen erforderlich ist.
Verstoß gegen Verfahrenspflichten kann Vermutung einer Benachteiligung begründen
Nach dem Urteil des BAG kann ein arbeitgeberseitiger Verstoß gegen die in § 168 SGB IX enthaltene Verfahrenspflicht, vor Ausspruch der Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen, im Einzelfall die Vermutung im Sinne von § 22 AGG begründen. Das bedeutet, dass die Vermutung für eine Benachteiligung des schwerbehinderten Menschen allein aufgrund seiner Schwerbehinderung besteht. Für den Fall, dass der Arbeitnehmer die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch belegen kann, kann sich allein aus einem solchen verfahrensrechtlichen Versäumnis dann ein Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 15 AGG herleiten (Urteil des BAG vom 02.06.2022, Az. 8 AZR 191/21). Die Höhe des Anspruchs kann mehreren Bruttomonatsgehältern des Arbeitnehmers entsprechen.
Fazit: Arbeitgeber sollten die Vorschriften bei Schwerbehinderungen ernst nehmen
Das Urteil des BAG hat wieder einmal deutlich gemacht, dass der Arbeitgeber bei der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen den besonderen Kündigungsschutz und die damit verbundenen strengen Verfahrensvorschriften beachten muss. Macht er dies nicht, so kann dies nicht nur dazu führen, dass die Kündigung unwirksam ist, sondern der Arbeitgeber ist dem Arbeitnehmer gegebenenfalls zusätzlich zur Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG verpflichtet. Um derartigen Risiken nicht ausgesetzt zu sein, empfiehlt es sich, vor der Kündigung eines Arbeitnehmers mit besonderem Kündigungsschutz den Rechtsrat eines Fachanwalts für Arbeitsrecht einzuholen. Gerne können Sie uns in solchen Fällen kontaktieren.