Schon das Reichsarbeitsgericht hielt eine Verdachtskündigung für rechtmäßig, wenn die Vermutung eines Pflichtverstoßes in „durchaus glaubwürdiger Weise“ untermauert und aufgrund des erschütterten Vertrauensverhältnisses eine Weiterbeschäftigung für den Arbeitgeber nicht mehr zumutbar sei (RAG Urteil vom 23. Juni 1934, Az. 318/33). Das Bundesarbeitsgerichts hat diese Rechtsprechung übernommen und weiterentwickelt (siehe zum Beispiel BAG Urteil vom 23. Juni 2009, Az. 2 AZR 474/07).
Voraussetzungen der Verdachtskündigung
Der Verdacht einer Pflichtverletzung kann nach der Rechtsprechung des BAG ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung gemäß § 626 BGB sein. Eine solche Kündigung ist an folgende Voraussetzungen gebunden:
- Objektive und nachweisbare Tatsachen belasten den betroffenen Arbeitnehmer, einen erheblichen Pflichtverstoß am Arbeitsplatz begangen zu haben.
- Der Arbeitgeber hat alles Erforderliche für die Aufklärung des Verdachts getan. Insbesondere hat er den beschuldigten Arbeitnehmer und eventuell auch den Betriebsrat zu dem Vorwurf angehört.
- Auch nach den Aufklärungsversuchen besteht der Verdacht weiter. Das Vertrauensverhältnis ist nachhaltig erschüttert.
- Bei Abwägung aller Interessen erscheint eine Kündigung verhältnismäßig.
Arbeitnehmer- und Betriebsratsanhörung
Es liegt auf der Hand, dass eine Kündigung aufgrund eines bloßen Verdachts, die ohne Anhörung des Betroffenen erfolgt, von vornherein unwirksam ist. Denn dann liegt offensichtlich keine Verhältnismäßigkeit vor. Der Arbeitgeber muss den Sachverhalt, welcher der Kündigung zugrunde liegt, aufklären. Dazu gehört ganz wesentlich, dass der Arbeitnehmer zu dem Vorwurf angehört wird.
Weigert sich der Arbeitnehmer jedoch, an der Aufklärung mitzuwirken, hat der Arbeitgeber genug getan. So gibt es keine Verpflichtung, dem Betroffenen nach dessen Weigerung ein zweites Anhörungsangebot zu machen (BAG, Urteil vom 28. November 2007, Az. 5 AZR 952/06). Wenn der Arbeitnehmer bei der Anhörung entlastende Tatsachen vorträgt, muss der Arbeitgeber diesen jedoch nachgehen. Eventuell muss er den Arbeitnehmer dann erneut anhören.
Da nach § 102 Betriebsverfassungsgesetz der Betriebsrat vor jeder Kündigung anzuhören ist, ist eine Verdachtskündigung unwirksam, wenn der Arbeitgeber dieser Vorgabe nicht entspricht.
Abmahnung erforderlich?
Nach dem BAG ist es letztlich ausschlaggebend, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch den Verdacht eines groben Fehlverhaltens ernsthaft erschüttert ist. Deshalb bedarf es auch keiner vorherigen Abmahnung, weil hier eine personenbedingte Kündigung vorliegt. Denn eine Abmahnung ist nur bei verhaltensbedingten Kündigungen notwendig, um dem Abgemahnten eine Chance zu geben, sein Verhalten zu ändern.
Anders sieht es bei Bagatellverstößen aus – zum Beispiel beim Diebstahl geringwertiger Sachen. Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 10. Juni 2010, 2 AZR 541/09) ist bei kleineren Delikten eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung nicht rechtmäßig. Dies muss natürlich erst recht gelten, wenn sich ein Verdacht nicht beweisen lässt.
Wichtig bei einer Verdachtskündigung ist jedoch die Beachtung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB. Diese Frist beginnt, sobald der Arbeitnehmer von dem Verdacht Kenntnis erhält.
Fazit
Eine Verdachtskündigung ist möglich, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nachhaltig gestört ist – auch wenn sich ein bestimmter Pflichtverstoß, auf den sich die Kündigung bezieht, nicht zweifelsfrei beweisen lässt. Natürlich reicht nicht jeder Verdacht aus. Der Pflichtverstoß darf nicht unwesentlich und die Indizien müssen durch Tatsachen untermauert sein. In einem solchen Fall erkennen auch die Arbeitsgerichte den bloßen Verdacht als wichtigen Kündigungsgrund an.